Zahnimplantate – Titan oder Keramik?
Die Implantologie hat sich in den letzten 40 Jahren rasant entwickelt. Die ersten dokumentierten Versuche einer Implantation eines Fremdkörpers in den zahnlosen Kiefer fanden im 5. Jahrtausend v. Chr.statt. Die übermittelten Zeichnungen zeigen Muschelreste, die an die Stelle des gezogenen Zahnes eingesetzt wurden. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieben Jordan und Magialo in ihrem Buch Manual d’art dentaire (Handbuch der Zahntechnik), wie man nach einer Zahnextraktion ein goldenes Rohr mit Krallen verankern könne. (Lehrbuch „Zahnärztliche Chirurgie“ 3. Ausgabe, Schwenzer, Ehrenfeld).
Im 20. Jahrhundert wurde weiter mit verschiedenen Metalllegierungen experimentiert. Unter diesen waren vor allem Edelstahl, Chrom, Kobalt, Molybdän. Die einen durften in den Knochen gesetzt (enossal) werden, die anderen durften unter die Knochenhaut auf die Knochenoberfläche eingesetzt werden (subperiostal). Die letztere Methode konnte sich angesichts der biophysikalischen Anforderungen an die Implantate nicht etablierten.
Der erste Zahnmediziner, der das Titan als Material in der Implantologie vorschlug, war Formigini. In den 70ern Jahren waren Leonhard Linkow und Per-Ingvar Brånemark die Pioniere der modernen Implantologie und sprachen als erste von „osseointegrierten“ Implantaten. Der letztere trug maßgeblich zu der Entwicklung der modernen Implantologie bei und führte zahlreiche Experimente mit Titanimplantaten durch.
Der Stand heute
Bevor auf die einzelnen physikalischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse eingegangen wird, die sich Zahnärzte und Implantologen heute zu Nutze machen, werden an dieser Stelle einige wichtigen Parameter der Implantologie erläutert.
1. Das Einsetzten
Jedes und absolut jedes Implantat muss eine gewisse Primärstabilität (also die Stabilität des Implantats direkt nach dem Einsetzten in den Kiefer) aufweisen. Eine Primärstabilität von einem Drehmoment von 35Ncm gilt als sehr sicher. Wenn keine Primärstabilität gewährleistet wird, heilt das Implantat nicht ein.
2. Knochenqualität
Man unterscheidet vier verschiedene Knochenqualitäten in der Implantologie- D1 bis D4. Die Knochenqualität ist entscheidend für die Primärstabilität.
3. Der Zahnersatz auf den Implantaten
Viele von uns haben vor Augen, dass ein Implantat einen Zahn ersetzt. In Wirklichkeit benutzt man heute sehr oft Implantate als Befestigungsanker für Prothesen, z. B. für Totalprothesen. Zwei bis vier Implantate können einer Totalprothese einen deutlich besseren Halt verleihen. Auf diese Weise sind Implantate einer sehr hohen Belastung ausgesetzt. Zu diesem Thema gibt sehr wenige Erkenntnisse über reine Keramikimplantate, auch keine Langzeitstudien.
Das Titanimplantat
Das Material für die Titanimplantate ist „Reintitan“. Das bedeutet, dass dieses Metall eine Reinheit von über 99,9% besitzt. Die Oberfläche aller Implantate ist mit Sauerstoff beschichtet. Das ist der Grund, warum ein Implantat einheilten kann. Der Körper erkennt die Sauerstoffschicht an der Oberfläche und die knochenbildenden Zellen (Osteoblasten) bilden frischen Knochen auf. Dieser Prozess wurde bei Titanimplantaten schon hunderte Male untersucht und zeigt, dass eine Wartezeit von 3 bis 6 Monaten, je nach Knochenqualität, Primärstabilität, sowie Knochenaufbaumaßnahmen notwendig ist, bis eine ausreichende Osseointegration (Integration in den Knochen) stattgefunden hat. Dieser Prozess funktioniert bei Implantaten aus Titan einwandfrei.
Warum verliert man trotzdem auch Titanimplantate?
Wie grade erwähnt, bleiben bei dem „Reintitan“ immer noch etwa 0,01% Fremdmaterialien, unter anderem Nickel (Thomas et al). Auch wenn es in so einer niedrigen Konzentration vorhanden ist, könnte es zu einer Entzündungsreaktion, extrem selten zu einer richtigen allergischen Reaktion mit klassischer Symptomatik, führen. Die andere Ursache, die auf den Metalleigenschaften der Implantate beruht, ist das Phagozytieren (die Aufnahme der Partikel in die Zellen) von Titanpartikeln. Es handelt sich um eine stärker ausgeprägte Entzündungsreaktion, ausgelöst durch Makrophagen und Monozyten. Nach dem Phagozytieren von Titanpartikeln durch die oben genannten Zellen, können diese Botenstoffe freisetzten, wie TNF-α und IL-1β. Diese Botenstoffe vermitteln dann eine erhöhte Osteoklastenaktivität. (Knochen-abbauende Zellen).
Merke: Das Freisetzten der Botenstoffe findet nach jeder Implantation statt. Die Menge der freigesetzten Botenstoffe ist unterschiedlich, jedoch steigt die Entzündungsgefahr bei erhöhter Menge.
Die Osteoklasten sind in der Lage, 100 Mal mehr Knochen für die gleiche Zeit abzubauen, wie die Osteoblasten (Knochen-aufbauende Zellen) aufbauen können. So kommt es zum Verlust der Stabilität des Implantates im Implantatbett und dadurch zum Verlust.
Merke: Diese Komplikation wird durch andere Faktoren wie Knochenqualität, Allgemeinzustand des Patienten (ein Patient mit vielen Allergien, kann auch eher auf das Titan „allergisch“ reagieren als ein kern gesunder Patient), rauchen und Diabetes begünstigt.
Die Vorzüge der Titanimplantate
Das Titan ist als Material sehr biegsam und belastbar. Durch diese Eigenschaften kann man mit relativ kurzen Implantaten auch eine gute Primärstabilität erreichen und diese ausreichend belasten. Das Gewinde des Implantates ist mitentscheidend für die Primärstabilität. Viele Implantatsysteme, z. B. Ancylos, eins der bekanntesten bundesweit, haben kein aktives, schneidendes Gewinde. In diesem Fall muss das Gewinde vorher „geschnitten“ werden, bevor danach das Implantat inseriert werden kann. Das ist etwas schonender für den Knochen, erlaubt einem aber unter Umständen keine so gute Primärstabilität im weichen Knochen. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es Techniken gibt, mit deren Hilfe man auch im weicheren Knochen eine gute Primärstabilität erreichen kann. Es gibt mittlerweile Implantatsysteme, wie Megagen, Nobel Active oder ICX Active, die ein sehr aggressives Gewinde besitzen und dadurch eine sehr gute Primärstabilität auch im weicheren Knochen erreichen. Das ermöglicht eine Sofortimplantation.
Das Keramikimplantat
Bereits in den 60ern und 70ern wurde versucht, aus Keramik Implantate herzustellen. Das erste Material, das man benutzte, war Aluminiumoxid (Al2O3). Sami Sandhaus und Willi Schulte konzipierten bereits in den 60ern das sogenannte CBS- Implantat. CBS steht für crystalline bone screw und wird bis heute noch, wenn auch leicht modifiziert, eingesetzt. In den 90ern kam auch als Nachfolger des Aluminiumoxids das Zirkonoxid (ZrO2). Das besondere an ihm sind seine physikalischen Eigenschaften. Dazu zählen die hohe Biegefestigkeit (1.200 MPa), hohe Härte (1.200 Vickers), hohe Druckfestigkeit (2.000 MPa) und das Elastizitätsmodul (210 GPa) (zwp online vom 29.07.15). Diese Eigenschaften erlauben eine bessere Belastung des Implantates.
Ein Vorteil der Zirkonimplantate ist die geringere Haftung der Beläge. Im Vergleich zu Titan wurde eine signifikant geringere bakterielle Kontamination der Oberfläche festgestellt (Scarano et al. Rimondini et al.).
Nicht destotrotz bleibt das Material aufgrund seiner Beschaffenheit dem Titanimplantat grundsätzlich mechanisch unterlegen. So wurde Anfang der 90er festgestellt, dass diese eine signifikant höhere Misserfolgsrate in der Einheilungsphase aufweisen als Titanimplantate.
Merke: Zirkonoxid ist relativ brüchig und dadurch frakturgefährdeter als Titan.
Ein wichtiger Faktor für die Osseointegration ist die Fläche des Implantats, die vom Knochen bedeckt ist- BIC (bone implant contact). Es sind drei wichtige Studien zu dem Thema publiziert worden (Kohal et al. Sollazzo et al. Stadlinger et al.). Als Fazit kann man sagen, dass das Titanimplantat dem Keramikimplantat leicht überlegen ist.
Zahnimplantat-Material – Preis, Ästhetik und Fazit
Der Preis?
Das ist wie immer ein entscheidender Faktor für alle. Die Keramikimplantate kosten aufgrund des höheren Herstellungsaufwandes bis zu einem vielfachem mehr als Titanimplantate.
Merke: Die Kosten, die ein Implantat produziert, mit allen Schrauben, Abformpfosten, Laboranalogen etc. werden eins zu eins an Sie weitergegeben.
Ästhetik?
Die optische Komponente bei einem weißen Implantat ist unumstritten besser als bei einem grauen Titanimplantat. Das ist besonders vor allem im Frontzahnbereich wichtig, falls ein Teil des Implantats nach Jahren freiliegen sollte. Auch wenn das Implantat gut eingeheilt ist, kann es infolge von Allgemeinerkrankungen, falscher Putztechnik etc. passieren, dass ein Teil des Implantats freiliegt. In solchen Fällen ist das weiße Zirkonimlantat dem Titanimplantat überlegen.
Fazit zum jeweiligen Implantatmaterial
Die Renaissance, die die Zirkonimplantate erleben, führt zu neuen Forschungsergebnissen und insgesamt zu einer besseren Prognose. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass ein wesentlicher Bestandteil der Forschung zur Oberflächenbeschaffenheit betrieben wird, zu der es momentan keine Langzeitstudien, also über einen Zeitraum von 15 Jahren, gibt. Diese Aspekte der Forschung sowie die Vorhersagbarkeit stehen bei Titanimplantaten schon fest und sind sehr zuverlässig.
Außerdem muss beachtet werden, dass angesichts der noch sehr überschaubaren Bandbreite an Angeboten für Keramikimplantate der Preis im Vergleich zu den bewährten Titanimplantaten relativ hoch bleiben wird.
Nichtsdestotrotz geht die Entwicklung in Richtung Keramikimplantate, auch wegen der besseren Ästhetik. Für den Moment bleibt das aber eher eine Alternative und kein Ersatz für die Titanimplantate, vor allem bei sofortbelastbaren Implantaten.